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Kurzgeschichte: "Der Tramper"

Der Tramper
von Mikael Kingsley

 „Verzeiht dir jedes Laster, benutze Wolf-Zahnpasta!“,

lautete der altbewährte Werbeslogan der Peter und Louis Wolf GmbH und Co KG. Und mit diesen Worten schloss Peter Wolf auch den einundeinhalbstündigen Vortrag. Die Wolf-Zahnpasta, mit deren Entwicklung er und sein Bruder Louis vor nun schon 15 Jahren begonnen hatten, war in Österreich mittlerweile sehr etabliert. Jedes Kind kannte dort die Wolf Zahnpasta sowie den grauen Wolf mit den spitzen weiß-glänzenden Zähnen, welcher ihr Logo schmückte. Nun war es für die Herren Wolf und Wolf allerdings an der Zeit zu expandieren, weshalb Peter den ganzen weiten Weg von Wien bis nach Berlin auf sich genommen hatte, wo er vor einer der größten Drogerieketten Deutschlands vorsprechen durfte. Peter war der Charismatische der beiden Wolf Brüder, weshalb er auch derjenige war, der solche Vorträge stets in Angriff nahm. Auf den Schultern dieses Mannes, der tagein tagaus in teuren Maßanzügen gekleidet war, saß ein Kopf dessen kantiges und sympathisch wirkendes Gesicht durch eine lange Narbe gezeichnet war. Dieses unübersehbare Merkmal, welches seit noch nicht allzu langer Zeit sein Gesicht schmückte, begann neben seiner Augenbraue und erstreckte sich über die gesamte rechte Gesichtshälfte bis runter zum Kinn.
 Die Teilnehmer des soeben beendeten Meetings applaudierten kurz und ein großer Mann mit buschigem aber gepflegtem Bart erhob sich. Es war der CEO, der sich herzlich für den Vortrag bedankte und beteuerte, er würde sich mit ihnen in Kontakt setzten, sobald eine Entscheidung getroffen sei. Dann erhoben sich die Teilnehmer von dem langen Tisch in dem Konferenzraum, in dem sie die letzten zwei Stunden verbracht hatten und schritten einer nach dem anderen durch die Tür am hinteren Ende des Saales, die in den Flur des fünften Stockes eines riesigen Bürogebäudes führte. Nur eine einzige Person, ein etwas kleinerer Mann mit zerzaust wirkenden Haaren schloss sich nicht sofort der Menge an.
 „Toll gemacht, Pete! Wow! Einfach der Wahnsinn! Große Klasse! Aber kann nicht bleiben. Muss zur Nachbesprechung. Aber wir sehen uns später klar?“, sagte dieser, nachdem er hastig zu Peter geeilt war, ihn hastig umarmt hatte und beide Daumen nach oben gerichtet hatte.
„Ja. Vielen Dank. Alles klar, Jimmy.“, erwiderte Peter, doch der komische kleine Mann namens Jimmy war schon wieder losgeeilt und hatte sich seinen Kollegen angeschlossen, die schwätzend ihrem Boss aus dem Raum folgten. Peter ließ sich Zeit seine Unterlagen zu sammeln und in seinen Aktenkoffer zu befördern, dann schritt auch er durch die Tür in den breiten Flur, den er bis zu den Aufzuganlagen folgte. Auf dem Weg ins Erdgeschoß lauschte er der ruhigen Fahrstuhlmusik, während er über seinen Vortrag nachdachte. Er hatte das Gefühl sich ganz gut geschlagen zu haben, zumindest war ihm der CEO nicht gerade ablehnend erschienen. Na ja, so richtig begeistert auch nicht… Aber wie dem auch sei, es hatte keinen Sinn sich den Kopf zu zerbrechen, Jimmy würde ihm später sicher mehr erzählen.

Er schritt aus dem riesigen Glaskomplex und blickte auf seine Rolex-Uhr. Es war noch etwas Zeit, bis Jimmy mit der Besprechung fertig sein würde. Ein kleiner Zeitungsstand befand sich nahe dem Gebäudeeingang. Peter entschied sich, dort die neuste Ausgabe des Forbes Magazins zu besorgen. Seinen frischen Einkauf in der Tasche machte er sich dann auf den Weg zu dem Café, das er und Jimmy als Treffpunkt vereinbart hatten. Während Peter also diese belebte Berliner Straße unter der sommerlichen Nachmittagshitze entlangmarschierte, musste er an seinen älteren Bruder Luis denken, mit dem er sein Geschäft teilte.

Wenn Peter der Charismatische der beiden war, so war Louis der wirtschaftlich und mathematisch Begabte. Sie waren ein ausgesprochen gutes Team. Louis war etwas größer als Peter, hatte aber dieselbe pechschwarze Haarfarbe. Im Gegensatz zu Peter, mit seiner exakt geschnittenen Kurzhaarfrisur, hatte der ältere der Brüder langes nach hinten gelegtes Haar. Außerdem schmückte statt einer dicken Narbe eine altmodische Brille mit kleinen viereckigen Brillengläsern sein Gesicht. Louis hatte, diese Ausgabe des Forbes Magazins sicher schon mehrmals genauestens studiert, dessen war sich Peter gewiss, und wenn er zurück nach Wien kommen würde, würde sein Bruder garantiert mit ihm darüber diskutieren wollen. Dies im Hinterkopf setzte er sich also, als er am vereinbarten Treffpunkt angekommen war, an einen der freien Tische unter einen der großen Sonnenschirme, bestellte einen Cappuccino mit Sahne, und schlug das Magazin auf.

„Komplett autofreie Städte gibt es nicht. In der Altstadt Medina, Fès, Morocco, in Teilen von Freiburg im Breisgau oder in Wien gibt es aber Ausnahmen. Im chinesischen Chengdu soll eine ganze neue Stadt ohne Autos entworfen werden. Wir haben nachgeforscht, was hinter den Alternativen steckt.“

Klingt interessant. Für später.

„LEGO: Eine Erfolgsstory wie aus dem Bilderbuch, könnte man meinen – bis sich der Himmel 2003 eintrübte. Wie das Ruder herumgerissen wurde und das Unternehmen das Kinderträume gebaut hat, wieder fit gemacht wurde.“

Mit diesem Artikel würde er beginnen. Doch noch ehe er sich zu sehr in die Auf- und Abgeschichte, des beliebten Bauklotz Konzerns vertiefen konnte, wurde Pete auch schon aus der Konzentration gerissen.

„Ain't no one like me
I'm a legend
Ain't no one like me
I'm a legend, legend
Cause I been down so long
And my crown ain't gone,it's destined
Ain't no one like me
I'm a legend, legend, legend“

Peter lies sein Handy läuten. Ihm gefiel der Song den er als Klingelton gewählt hatte. Er spendete ihm Kraft vor wichtigen Gesprächen. Vielbedeutender aber war, ein Mann in seiner Position durfte keine Schwäche zeigen, indem er das Telefon sofort abnahm. Das war ausgeschlossen Er überlegte kurz, ob er die Sprachbox rangehen lassen sollte, entschied sich aber doch dazu, in der letzten Sekunde abzuheben.

„Herr Wolf am Apparat.“
 Kurze Pause.
„Lieferschwierigkeiten verstehe. Mhmm.“
Sehr kurze Pause.
„Gut und wie lautet ihr Plan. Was machen wir?“
Kaum merkbare Pause, doch Herr Wolf wurde bedeutend lauter.
„Produktionstop? Haben Sie den komplett den Verstand verloren?“

Der Mann im feinen Anzug mit seinem Forbes Magazin in der einen und seinem Mobiltelefon in der anderen Hand zog nun schon einige Blicke auf sich, während die Sahne auf seinem Cappuccino langsam vor sich hinschmolz.
 „Dass Sie die absolute Frechheit besitzen, mich mit diesem Vorschlag überhaupt anzurufen! Unglaublich! Sie wissen genau, dass wir kurz davor stehen nach Deutschland zu expandieren! Wir können uns keinen Stillstand leisten, Sie nichtsnutziger Idiot!“
 Mittlerweile waren die Blicke der meisten Gäste zu Peters Tisch gewandert und eine junge, verunsichert dreinblickende Kellnerin, kam herbeigeeilt.
 „Sir, ich muss Sie bitten Ihren Ton etwas zu…“.
„Keine andere Möglichkeit? Wollen Sie mich etwa verarschen?“.
 Eine Mutter schnappte sich ihre kleine Tochter und hielt ihr die Ohren zu. Erneut fing die Kellnerin an zu sprechen:
„Sir, wenn sie nicht sofort aufhören ...“
„Ich sag Ihnen etwas, morgen Abend werde ich wieder in Wien sein und wenn Sie bis dahin keine akzeptable Lösung gefunden haben, werde ich Ihnen höchstpersönlich den Arsch aufreißen.“, beendete Peter sein Gespräch und legte auf.
 „Sir, ich muss Sie informieren, dass wir so einen Tonfall hier nicht tolerieren. Falls es wieder dazu kommt, muss ich Sie bitten zu gehen.“
„Schon gut, schon gut. Tut mir leid, wird nicht mehr vorkommen.“, erwiderte er. Sein Ärger schien von einer auf die andere Sekunde abgeflaut zu sein. Die Kellnerin, sichtlich erleichtert der Situation zu entkommen, verschwand ins Gebäude des Caféhauses. „Österreicher…“, hörte man eine Frau hinter ihm murmeln. Peter seufzte. Es machte ihm bei Gott keinen Spaß sich in der Öffentlichkeit so zu zeigen, aber wie sein Vater ihm schon immer gesagt hatte: Ein Wolf muss manchmal auch seine Zähne zeigen.
 Just in diesem Moment sah er die größer werdende Gestalt eines kleinen quirligen Mannes auf sich zukommen. Der zerzauste Jimmy hatte sich nun auch an ihrem Treffpunkt eingefunden. Jimmy war ein alter Studienfreund von Peter. Es gab eine Zeit, in der sie geradezu unzertrennlich waren, gemeinsam hatten sie jede zweite Nacht Wien unsicher gemacht, statt sich auf die Prüfungen vorzubereiten. Für Peter war das kein großes Problem, für Jimmy sehr wohl, obwohl er sich trotzdem irgendwie durch sein Studium mogeln konnte. Als dieses jedoch vorüber war, lebten sich die beiden Freunde auseinander. Während Jimmy ein Jobangebot aus Berlin, ein sicherer Arbeitsplatz mit guter Bezahlung, annahm, zog es Peter gemeinsam mit seinem Bruder in die Selbstständigkeit. Nichtsdestotrotz trafen sich die Beiden ab und zu und ließen die alten Zeiten hochleben. Jimmy war es auch der Peter und Louis die Chance verschafft hat hier vorzusprechen und eine mögliche Partnerschaft mit seinem Arbeitgeber einzugehen.
 „Nana Pete, was machst du denn hier wieder für einen Aufstand?“, Jimmy lächelte, schnappte sich einen Stuhl und setzte sich zu Peter.
Seit dem Vortrag hatte er sich umgezogen. Er trug jetzt ein schmuddelig aussehendes T-Shirt und eine Bluejeans. Außerdem hatte er eine dünne Lederjacke für die kühleren Abendstunden dabei.
„Oh es gibt Lieferprobleme in unserem Werk in Wiener Neustadt. Und der dortige Produktionsleiter war tatsächlich so dreist und hat mich mit dem Vorschlag eines Produktionsstopps angerufen. Wenn er seinen Job behalten will sollte er sich lieber zuerst selbst eine Lösung einfallen lassen, bevor er…“
„Peter! Du musst dich mal ein bisschen entspannen, früher konnte dich sowas auch nicht aus der Fassung bringen. Außerdem bist du jetzt hier in Berlin. Dein Bruder ist in Wien, der soll sich darum kümmern!“
 „Früher waren wir auch Studenten“, antwortete Peter, „Und das fällt in meinen Aufgabenbereich, nicht in den meines Bruders.“
„Ihr seid eine Familie, der wird das dieses eine Mal schon für dich übernehmen können, Mann! Wie dem auch sei du willst sicher wissen, wie es heute gelaufen ist.“, Jimmy legte sich die Arme hinter den Kopf und lehnte sich auf seinen Stuhl zurück, „aber eigentlich ist das ja ein Betriebsgeheimnis, du weißt schon…“.
„Komm schon Jimmy, Mann. Lass mich nicht zappeln.“
Ein Gespräch mit dem alten Jimmy konnte immer wieder ein Lächeln auf die Lippen des sonst meist bösen Wolfes zaubern.
„Es war toll! Der Chef war wirklich beeindruckt. Er hat sich schon entschieden, aber er möchte dich noch ein paar Tage warten lassen, bevor er dich mit einer Zusage anruft. Du weißt ja, wie das so ist.“
Erleichtert strich sich Peter durch die Haare und atmete tief aus.
„Aber für diese Auskunft, mein Freund, schuldest du mir ein Bier“.
„Heute Jimmy“, erwiderte der lächelnde Peter, “Heute kannst du dir alles bestellen, bis hin zum teuersten Scotch, das geht alles auf mich!“.
„Dann sollten wir aufbrechen, ich kenn eine gute Bar gleich um die Ecke.“ Jimmy stand auf.
„Jetzt schon?“ Peter blickte zweifelnd auf seine Uhr.
„Ja wir haben einiges vor. Immerhin gibt es einiges zu feiern und du bezahlst heute!“. „Überredet“, sagte Peter mit einem Lachen, stand auf und legte das Geld für den Kaffee auf den Tisch, zusammen mit einem großzügigen Trinkgeld für die Unannehmlichkeiten.
Jimmys Lächeln wurde breiter. „Heute Nacht Pete, sorgen wir dafür, dass du dich wieder wie ein Student fühlst. Heute holen wir wieder den Wolf aus dir raus!“

Einige Stunden waren bereits vergangen, tatsächlich hatte die Uhr gerade zur zehnten Stunde geschlagen, als die beiden alten Freunde lachend und lallend in eine kleine Bar mit dem Namen „Black Sheep“ stolperten.
„Ich muss pissen!“, rief Jimmy feierlich in die mäßig gefüllte Bar und forderte in leiserem Ton, „Bestell mir ein Bier, Pete“, bevor er schwankend die Toilettentür ins Visier nahm.
Peter Wolf nahm den Befehl nickend entgegen, setzte sich auf einen der freien Barhocker und hob mit einem Schnipsen die Hand.
„Barmann, zwei Bier bitte!“
Das „Black Sheep“ war eine dieser Bars, die man in fast jeder Stadt fand, die einfach überhaupt nichts Besonderes an sich hatte und doch eine gewisse Anziehungskraft ausstrahlten.
„Ein Billard Tisch, ein Fernseher für Sportübertragungen und ein gutes Bier! Was will ein Mann mehr?“, pflegte Jimmy zu sagen, wenn er nach dieser, seiner Lieblingsbar, gefragt wurde. Peter gab ihm in Gedanken Recht, während er zu einer der wenigen Lichtquellen blickte, die in dem kleinen Raum zu finden waren, einen mittelgroßen Flachbildschirm auf dem gerade die Wiederholung des Champions League Finales Liverpool gegen AC Milan gezeigt wurde.
 „Oh Mann, so wie du und dein Freund ausseht, solltet ihr euch wohl kein Bier mehr genehmigen.“
Peter fuhr herum und blickte in das Gesicht der Person zu seiner Rechten.
„Wer sind Sie uns Vorschriften zu machen, junger Mann?“, sagte er lachend und mit dem Zeigefinger wackelnd.
Der junge Mann hatte lange blonde Haare zu einen Pferdeschwanz gebunden und trug einen roten schmuddeligen Sweater.
„Ich bin Charlie und du?“
„Schön Sie kennen zu lernen Charlie! Wolf mein Name.“
„Wir sind hier unter Freunden, spiel nicht den bösen Wolf und nenne mir deinen Vornamen!“
Herr Wolf, der schon ziemlich betrunken war, gefiel dieser Einwand und lallte: „Na gut Mister Charles! Ich heiße Peter, aber da wir ja unter Freunden sind, kannst du mich ruhig auch gleich Pete nennen.“
„Freut mich Pete!“, sagte sein junger neuer Bekannter, den Pete auf nicht älter als 24 schätzte und nippte von seinem Glas Wodka. Oder nein. Das musste ein Glas Wasser oder Soda Zitrone sein. Niemand bestellt einen halben Liter Wodka in einem Glas.
Wie gesagt, Peter war schon ziemlich betrunken.
„Weißt du Pete, es ist blöd aber, wenn ich Wolf höre, muss ich sofort an diese Melodie denken: Verzeiht dir jeden Lasteeeer… „
„…benütze Wolf-Zahnpasta!“, beendete Peter den Satz. „Aber diese Werbung wird in Deutschland nicht ausgestrahlt, nur in Österreich, woher kennen Sie den das?“.
Charlie zog die Augenbrauen hoch. „Geboren und aufgewachsen in Wien. Bin hier in Berlin für einen Städtetrip. Und du scheinst wohl auch aus Österreich zukommen?“.
„Ebenfalls geboren und aufgewachsen in Wien und zufällig kein Geringerer als der Erfinder besagter Wolf-Zahnpasta, die in Kürze auch jeder hier in Berlin kennen wird!“ Peter Wolf richtete sich etwas auf, streckte seine Brust raus und tat so, als würde er sich seine mittlerweile hoffnungslos verrutschte Krawatte richten.
„Neeeein, du verarscht mich doch!“
„Aber aber. Ich dich doch nicht, mein Lieber! Komme gerade von einem Meeting, welches mir den Vertrieb in Deutschland sichert.“
„Dann hast ja was zu feiern! Würde ja mit dir anstoßen, aber ich trinke heute nicht. Für mich geht’s morgen zurück nach Wien und ich möchte beim Trampen keinen schlechten Eindruck mit einer Alkoholfahne machen.“
„Trampen? Du meinst, du hältst ein Pappschild in die Höhe und hoffst, dass dich irgendein guter Samariter mitnimmt?“.
Charlie lachte, „Ganz genau, Pete.“
„Charles. Du könntest mit mir mitfahren, ich bin mit dem Auto hier und fahre morgen zurück nach Wien.“, erwiderte Pete ohne lange zu überlegen.
„Dann bist du also heute mein guter Samariter?“
„Nein, nein! Wie du gesagt hast, wir sind hier unter Freunden! Außerdem kannst du dann mit mir jetzt anstoßen, ich bestell dir ein Bier.“, sagte Peter entschlossen.
Ehe Charlie eine Antwort erwidern konnte, erschien eine junge brünette Dame und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
„Das ist wirklich sehr nett, Pete, aber ich höre gerade meine Freunde und ich gehen jetzt zu der privaten Party eines Freundes. Das Angebot der Mitfahrtgelegenheit nehme ich, falls du es wirklich ernst meinst, aber gerne an. Ich bezahl dir natürlich auch Benzingeld!“
Peter winkte ab, „Das ist schon in Ordnung, ich fahr ja sowieso, kommen Sie einfach morgen um 14:00 zu dieser Adresse. Das ist die Wohnung meines Freundes Jimmy, ich werde die Nacht bei ihm verbringen.“, und schrieb Straße sowie Haus- und Wohnungsnummer auf eine Serviette.
Der Barkeeper stellte zwei Bier auf die Theke und wandte sich seiner nächsten Kundschaft zu.
„Danke Peter!“, sagte Charlie mit ernstem Blick, klopfte Herrn Wolf auf die Schulter und gesellte sich zu seinen Freunden, die bereits an der Tür auf ihn warteten. Kurz darauf setzte sich der gerade von der Toilette gekommene Jimmy auf den leeren Platz, der gerade noch von dem jungen Mann im roten Sweater besetzt war und schnappte sich sein Bier.
„Jimmy. Vielen Dank für den schönen Abend“ Peter sah ihn an und hob sein Glas. „Ich habe mich lange nicht mehr so lebendig gefühlt.“
Jimmy überrascht aber erfreut sah Peter in die Augen und hob ebenfalls sein Glas. „immer schön dich zu sehen, alter Freund.“

Die Nacht verging und am nächsten Morgen wachte Peter mit enormen Kopfschmerzen auf dem Sofa in Jimmies Wohnung auf. Dabei fühlte er sich schon gar nicht mehr so lebendig.
„Oh verdammt, hab ich dich aufgeweckt?“ ertöne Jimmys gequälte Stimme, als Peter sich aufrichtete. „Tut mir wirklich leid, aber ich muss zur Arbeit. Im Kühlschrank ist etwas zum Frühstücken. Eier, Schinken... ach Scheiße, wir haben es gestern echt etwas übertrieben.“
„Das kannst du wohl sagen.“, erwiderte Peter mürrisch und faste sich an den Kopf, während Jimmy langsam aus der Wohnung trat und die Tür hinter sich ins Schloss fielen ließ.
Während Peter in die Küche ging und sich ein Glas Wasser holte, versuchte er sich an die Geschehnisse der vergangenen Nacht zurückzuerinnern. Jimmy hatte versucht eine Frau aufzureißen ... Peter schmunzelte, als er an den Korb dachte, den sich sein Freund eingeholt hatte. Sie hatten wirklich das ein oder andere Glas gehoben. Und dann war da dieser junge Mann… Charles. Plötzlich erinnerte er sich, er hatte angeboten ihn nach Wien mitzunehmen! Und er hatte ihm Jimmys Adresse gegeben. Peter hatte absolut nicht die geringste Lust die ganze Rückreise nach Wien in Gesellschaft eines jugendlichen abenteuerlustigen Mannes zu verbringen. Er blickte auf die Uhr, es war 11:00. Wann hatte er diesen Charles gesagt, er soll vorbeikommen? Gegen Mittag? Er erinnerte sich nicht mehr genau. Am besten war es wohl sofort aufzubrechen, bevor der Tramper hier auftauchte. Also packte er seine Sachen, verließ die Wohnung um sich beim nahegelegenen Starbucks einen Kaffee zum Mitnehmen zu besorgen und den Bürgersteig bis zum Parkplatz entlang zu schlendern, auf dem sein neuer 7er BMW ruhte. Er stieg ein, setzte den Kaffeebecher in die dafür vorgesehene Halterung und lehnte sich mit einem kleinen Seufzer zurück. Er würde noch Tanken müssen.

Charlie erwartete nicht, dass Peter sein Versprechen halten würde. Der Mann hatte am Vortag dermaßen einen sitzen. Deshalb war er schon früher aufgestanden, hatte sein Pappschild mit der Aufschrift „Richtung Wien“, sowie seinen Camping Rucksack gepackt und war aufgebrochen. Am besten für sein Vorhaben eignete sich ein Platz an dem viele Autos vorbeikamen und der Nahe einer Autobahn lag. Eine Tankstelle. Er stand also hier um 12 Uhr mittags an einer stark frequentierten Tankstelle in der Nähe der Autobahnauffahrt. Gerade ärgerte er sich, dass ihn trotz seines frühen Aufbruchs noch niemand mitgenommen hatte als er zu seiner großen Belustigung seine nächtliche Bekanntschaft, Pete den Geschäftsmann, aus einen 7er BMW an der Zapfsäule aussteigen sah.

„Will ich wirklich so Autofahren?“
Der Kaffee hatte Peters Kopfschmerzen nicht wie erhofft gemildert und ihm war bewusst das er auf jeden Fall noch den einen oder anderen Tropfen Alkohol im Blut hatte. Genau genommen wusste es wohl jede verdammte Person, die ihn sah während er die Tankstelle betrat. Unter Seufzern bewegte er sich zum Schalter.
„Wollen Sie wirklich so Autofahren?“
„Sag mir nicht was ich zu tun habe du verdammtes Arschloch.“, dachte Herr Wolf.
Aber sein Mundwerk, das professionell darauf geschult war nicht immer das zu sagen, was er dachte, sagte nur:
„Einmal die 4, bitte.“.
Der besorgte Blick des Tankstellenmitarbeiters folgte seinen zittrigen Fingern, während er Bargeld aus seiner Börse fischte.
„Sie sollten wirklich die Hände vom Lenkrad lassen.“ Bei aller eintrainierten Gelassenheit, seine starken Kopfschmerzen riefen, bei dieser in seinen Augen respektlosen Äußerung, Ärger in Peter hervor und sein Restalkohol bewirkte, dass er nun doch die Fassung verlor.
„Nehmen Sie mein Geld und verschonen Sie mich mit Ihren Vorträgen. Sie nichtsnutziger Tankwart, der es sonst zu nichts gebracht hat.“
Nun hatte der übelriechende Mann im schlampigen Anzug endgültig die Aufmerksamkeit aller Leute in der Tankstelle. Der Mann am Schalter kassierte ohne weitere Worte und während Peter zurück zu seinem Auto schlürfte, war dieser nicht die einzige Person im Raum, die dachte:
„Selber schuld, wenn ich dich heute Abend in den Nachrichten sehe, Arschloch.“
„Beruhig dich Pete… Beruhig dich“, murmelte Herr Wolf. „Kontrolliere deine Emotionen, verdammt nochmal“. Als er sich jedoch seinem Auto näherte, sah er etwas, was ganz und gar nicht zu seiner Beruhigung beitrug.
„Willst du wirklich so Autofahren?“,
„Was wollen Sie in meinem Auto verdammt noch mal?“
„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen Pete.“
„Würden Sie meine Frage beantworten, warum in Teufels Namen Sie auf meinem Beifahrersitz sitzen?“.
„Eigentlich wollte ich ja trotz unseres Gespräches Trampen gehen. Wollte früh los. Du als alter Geschäftshund weißt doch, wie das ist oder? Nur der frühe Vogel fängt den Wurm. Doch dann sah ich, dass du auch hier bist. Eigentlich dachte ich, du würdest erst um zwei losfahren, aber das muss wohl ein Missverständnis gewesen sein. Oder wolltest du mich einfach sitzenlassen?“
Charlies Augen funkelten und ein kleines Schmunzeln umgarnte seine Lippen. Während dieser kleinen Erzählung atmete Herr Wolf mehrmals durch. Er wusste, Charles spielte mit ihm, aber ihn jetzt einfach hierzulassen hieße ihn gewinnen zu lassen. Und Peter sah in sich selbst alles andere als einen Verlierertypen. Also setzte er ein gequältes Lächeln auf:
„Aber selbstverständlich wollte ich Sie nicht zurücklassen Charles. Nur ein dummes kleines Missverständnis. Aber wie das Schicksaal so spielt, haha, alles noch einmal gut gegangen!“
Er würde diesen halbreifen Jugendlichen also tatsächlich mitnehmen. Naja der Tag war sowieso schon gelaufen und es war besser als seine Schwäche einzugestehen.
„Das ist so nett von dir Pete!“
„Nennen Sie mich bitte nicht Pete, Mister….?“
„Charles Singer, aber nenn mich einfach Charlie, wie gestern!“
„Das werde ich lieber nicht tun, Herr Singer.“
„Wie du willst.“, und nach einer kurzen Pause „Und du bist wirklich sicher, dass du in diesem Zustand mit dem Auto fahren willst?“.
Peter unterdrückte den aufkeimenden Zorn der aus seinem Inneren zu hervorbrodeln drohte und den nur direkter Zweifel an seiner Person auslösen konnte.
„Wollen Sie mitfahren oder nicht?“
„Ich will mitfahren.“
„Dann vertrauen Sie mir.“
„Ich vertraue dir.“
Daraufhin wählte Peter in seinem Navi die schnellste Route nach Wien, diese schien im Moment über Tschechien zu verlaufen. Na gut.
Und dann startete Peter zum letzten Mal in seinem Leben alkoholisiert einen Motor.

Die ersten Stunden ihrer Fahrt verliefen weitestgehend ereignislos. Man konnte von Herrn Wolf denken was man wollte, aber er war ein guter Autofahrer und als er merkte, dass die besorgten Seitenblicke die ihm Charles zuwarf immer weniger wurden und durch entspanntes Zurücklehen und musikhören ersetzt wurden, verschaffte ihm das ein merkwürdiges, aber nur allzu bekanntes Gefühl der Befriedigung. Er hatte gewonnen. Gegenüber dem Tankwart der an ihm zweifelte und gegenüber dem jungen Mann neben ihm. Gegen alle. Wie üblich.
Während er so die Autobahn entlangfuhr und die Straßenschilder, Windräder, Bäume und Felder in gleichmäßiger Geschwindigkeit an seinem Fenster vorbeirauschten, entspannte er sich zunehmend und seine harte Haltung von vorher tat ihm etwas leid. Charles schien ein sehr angenehmer Beifahrer zu sein. Abgesehen von ab und zu leise mitgemurmelten Songtexten, denen er auf seinem alten Ipod lauschte, hörte man kaum ein Wort von dem jungen Mann. Als Sie nach etwa zweieinhalb Stunden Dresden passiert hatten und sich der tschechischen Grenze näherten, waren seine Kopfschmerzen verschwunden und er fühlte sich schon viel besser.
„Was hören Sie?“
Keine Antwort. Peter stupste seinen Mitfahrer an, sodass dieser seine Kopfhörer abnahm und ihn ansah.
„Was hören Sie?“
„Macklemore“
„Sagt mir nichts. Lassen Sie mal hören, ich hab ein AUX-Kabel.“
„Ist das dein Ernst?“, Charlie wirkte amüsiert.
„Was? Das ich Ihre Musik hören möchte oder dass ich diesen „Mecklmoa“ nicht kenne?“
„Ersteres. Dass du mit den neusten Trends nicht immer am Laufenden sein kannst, ist mir klar. Du musst sicher wahnsinnig viel arbeiten.“
„Das ist wahr. Aber jetzt haben wir Zeit, also bringen Sie mich aufs laufende Band!“, lachte Peter. „Und tut mir leid, wie ich mich heute Morgen benommen habe.“
„Schon gut. Es war auch sehr unangebracht von mir, einfach in dein Auto einzusteigen. Hat mich nur geärgert, dass du so viel auf dich nehmen wolltest nur um mich nicht mitnehmen zu müssen.“
„Ich wollte Sie nicht einfach zurücklassen!“
„Natürlich wolltest du das nicht.“
Ganz ohne Kopfschmerzen und mittlerweile fast ohne Restalkohol, ließ sich Herr Wolf seine Emotionen über diese sarkastische Bemerkung nicht anmerken.
„Also spielen Sie mir jetzt etwas von Ihren Songs vor oder soll ich etwas aus meiner Zeit einlegen?“
Charlie lachte: „Bitte verschon mich.“

200km weiter dachte Herr Wolf, dass er den Jungen mochte. Sie hatten gerade die Abfahrt „Humpolce“ passiert, eine 11.000 Einwohner Kleinstadt südöstlich von Prag, und waren im Herzen Tschechiens angelangt. Die ganze Fahrtzeit über hatten, der sonst so seriöse Geschäftsmann Peter und der junge Freigeist Charlie, fast schon wie Freunde gesprochen und sich ein Lied nach dem anderen von Charlies Ipod angehört.
„Und das mein lieber Peter war Ed Sheeran!“
„Nicht wirklich mein Favorit muss ich sagen.“
„Der beste Sänger unserer Zeit!“
„Was für eine beschissene Zeit das sein muss.“
Der junge Mann lachte, „Jeder liebt Ed Sheeran!“
„Ich bin wohl nicht Jeder, mein Junge“, erwiderte Peter grinsend. „Jetzt zeige ich dir mal etwas!“ Und schaltete sein Autoradio auf die CD-Funktion um. „Einen Song, den jeder bei einer langen Autofahrt hören sollte!“
„Oh nein, ich denke ich weiß, auf was das hinausläuft.“, sagte Charlie in gespielter Verzweiflung.
Peter griff mit seiner rechten Hand ins Handschuhfach und holte eine alte unbeschriftete CD hervor.
„Um Gottes willen, tun sie mir das nicht an!“
Peter grinste über das ganze Gesicht und steckte die CD in den dafür vorgesehenen Schlitz.
„Oh Pete, du wirst mitsingen. Das wirst du oder?“
Peter sang mit.
„When I wake up, well I know I'm gonna be, I'm gonna be the man who wakes up next you“
„Gott, ich wusste es“
„When I go out, yeah I know I'm gonna be I'm gonna be the man who goes along with you“
„Ich erhebe Einspruch!“
„If I get drunk, well I know I'm gonna be I'm gonna be the man who gets drunk next to you“
„Gegenwehr ist zwecklos, oder?“
„And if I haver up, yeah I know I'm gonna be I'm gonna be the man who's havering to you“
Beim Refrain sang nun auch Charlie mit.
„But I would walk 500 miles
andnd I would walk 500 more
Just to be the man who walks a thousand miles
To fall down at your door“

20km weiter wusste Peter Wolf, dass er den Jungen mochte.
Charlie drückte die Stopptaste des Autoradios und Peter bedachte ihn mit einem bösen Blick.
„Komm schon, wir haben den Song jetzt fünf mal gehört und mit voller Kraft mitgesungen. Genug ist genug.“
„Es gibt nie genug von diesem Song.“
„Du bist eigentlich ein ganz lustiges Kerlchen weißt du das?“
„Na gut du Schleimer, wieder zurück zu deiner Musik. Ich möchte etwas von diesem Rapper, den du mir gezeigt hast, Macklemore.“
Charlie nickte anerkennend und begann auf seinem IPod herumzufummeln, bis eine weibliche Nachrichtenstimme ertönte.
„Das ist der Beginn von Otherside. Mal etwas Ruhigeres.“, erklärte er.
„Moment, das kenne ich! Das ist die Musik von den Red Hot Chilli Peppers.“  „Otherside, ich erinnere mich. How long, how loooooong will I slide? Die Musik ist gestohlen.“
Charlie warf ihn einen überraschten Blick zu. „Ich bin beeindruckt Peter. Ja du hast Recht, das Original ist von den Red Hot Chilli Peppers, aber Macklemore hat ihre Musik verwendet.“
„Gefällt mir eigentlich, natürlich ist das Original besser, um Welten, aber trotzdem.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu. Hey ich werde jetzt hier zum Parkplatz fahren, muss ganz dringend aufs Häuschen. Soll ich dir was von der Raststätte mitbringen?“
„Na ja einen Bagel vielleicht.“

Peter brauchte nicht lange um sein Geschäft zu erledigen. Und während er dies tat musste er unweigerlich an die vergangenen Stunden denken und wie schnell sich ein scheiß Tag in einen wunderbaren Tag verwandelt hat. Wie ein vermeintlicher Klotz am Bein nun womöglich zu einem neuen Freund geworden ist. Natürlich kein typischer Freund für einen Mann wie ihn. Aber war nicht auch Jimmy ein sehr untypischer Freund? Und einen Freund wie Jimmy wollte er unter keinen Umständen missen. Sie hatten nun schon mehr als zwei Drittel der Strecke hinter sich und er nahm sich fest vor Charlie nach seiner Nummer zu fragen, bevor sie Wien erreichen würden. Um ihn in ein paar Tagen auf ein Bier einzuladen.

Bevor er zum Auto zurückkehrte, besuchte er noch die Raststätte. Es waren nur wenige Kunden anwesend. Peter schlenderte noch ein bisschen gedankenversunken durch die Regale, zwischen überteuerten Süßigkeiten und anstößigen Magazinen, bis er zum Schalter ging. Peter fühlte sich so entspannt wie schon lange nicht mehr. Mit einem unbeschwerten und fast schon kindlichen Lächeln bestellte er einen Kaffee bei dem missmutig dreinblickenden Verkäufer.  Es würde der letzte Kaffee sein, den er je beim Autofahren getrunken haben wird.
Mit dem Becher in der Hand und seinem guten Gefühl kehrte er zum Wagen zurück. Charlie saß am Beifahrersitz und seine Stimmung schien sich merklich verschlechtert zu haben. Es lief ein weiterer ruhiger Song von Macklemore. „Same Love“, erwiderte der Jugendliche auf die Frage hin, wie dieser hieß.
„Macklemore vor nicht allzu langer Zeit einen Autounfall?“
„Oh wirklich, was ist passiert?“
„Er hatte absolut keine Schuld. Der Fahrer des anderen Wagens war angetrunken und geriet auf die gegenüberliegende Fahrbahn. Sie stießen frontal zusammen. Der angetrunkene Fahrer musste ins Krankenhaus. Macklemore und seine Freunde waren nur leicht verletzt.“
„Da haben sie nochmal Glück gehabt.“
„Das stimmt wohl, aber das Glück ist nicht jedes Mal mit den Unschuldigen.“
Peter Wolf schwieg. Die Stimmung war unglaublich schnell wieder gekippt.
„Peter, fährst du oft alkoholisiert.“
„Ich bin nicht alkoholisiert.“
„Aber du warst es. Fährst du oft alkoholisiert Auto?“
„Ich war nicht betrunken. Ich fahre nie unter Alkoholeinfluss.“
„Wieso lügst du mich an Peter?“
„Ich bin ein sehr guter Autofahrer! Und wer bist du, dass ich mich vor dir rechtfertigen muss?“, Zorn stieg wieder in Peter auf.
„Woher hast du diese Narbe in deinem Gesicht?“
„ Ich möchte mich nicht vor dir rechtfertigen! Es war auch ein Autounfall, okay? Ich kann mich überhaupt nicht mehr daran erinnern, aber ich hatte keine Schuld! Es war irgendeinen Zusammenbruch am Steuer und bin von der Straße abgekommen. Danach war ich vier Wochen im Koma.“
„Was für ein Zusammenbruch? Und warum fährst du noch, wenn du jederzeit wieder so etwas haben kannst? Du gefährdest damit auch mich Mann!“
Peter setzte sich auf den Fahrersitz. „Ich habe schon gesagt, ich werde mich nicht vor dir rechtfertigen. Entweder du hältst die Klappe und ich nehme dich mit oder du machst so weiter und bleibst hier!“ Peter konnte sich wirklich nicht an den Unfall erinnern. Oder an die Zeit vor und danach. Aber das wollte er eigentlich auch nicht. Er wusste, dass durch diesen Unfall und durch seine erzwungene Auszeit, sein Bruder und er fast die Firma verloren hätten. Es war schmerzhaft genug sich die Narbe jeden Tag im Spiegel anzusehen. Diese Zeit war Geschichte und das sollte sie auch bleiben, er würde keinen weiteren Gedanken daran verschwenden.
„Gut. Werde etwas schlafen“. Charles Singer rollte sich am Beifahrersitz ein. „Du hast meinen Bagel vergessen.“
 Peter schwieg und bog auf Autobahnauffahrt ein. Er wollte das letzte Drittel ihrer Reise nun schnell hinter sich bringen und die Lust auf ein kühles Bier mit seinem Begleiter war ihm vergangen.

170 km weiter, ungefähr 50 km vor Wien bekam Peter Wolf einen Anruf.
Herr Wolf hatte keine Freisprechanlage. Die brauchte er nicht. immerhin war er ein guter Autofahrer.

„Ain't no one like me
I'm a legend
Ain't no one like me
I'm a legend, legend
Cause I been down so long
And my crown ain't gone,it's destined
Ain't no one like me
I'm a legend, legend, legend“

Das Spiel war jedes Mal dasselbe, Mobilbox oder in letzter Sekunde abheben. Er musste sich um die Sache mit dem Lieferengpass kümmern, also Variante B.
„Wolf hier. Wie sieht ihr Lösungsvorschlag aus? Ich hoffe um ihretwillen, dass er gut ausgearbeitet ist.“
„Mhhmm ja.. verstehe..“
„Das funktioniert, gut ja, aber was verwenden Sie dann als Bindemittel?“
Das Gesicht des Geschäftsmanns versteinerte sich während Charlie immer noch friedlich schlief. Dieses Mal war es kein gespielter Zorn, es war abgrundtiefe Wut.“
„Haben Ihnen Ihre Eltern nicht genug Verstand eingeprügelt Sie beschissener Idiot, was denken sie wird passieren, wenn sie das in unsere Zahnpasta geben? Wir stehen kurz vor der wichtigsten Expansion in der Geschichte unserer Firma und sie wollen, dass allen unseren neuen Kunden die Zähne abfallen, wenn sie unsere Zahnpasta benutzen?“ „Ja natürlich werden Ihnen die Zähne nicht wirklich ausfallen sie Schnellschalter. Aber wenn das irgendeinem dieser Gesundheitsfanatiker oder Aktivisten auffällt, gibt es einen riesigen Skandal. Mein Gott, es ist so als würden Sie gerade zu darum betteln ihren Job zu verlieren, denn wenn das Ihr Wunsch ist, dann sei er Ihnen liebend gerne erfüll…“
Ein wuchtiger Schlag traf Peter Wolf mitten im Gesicht. Sein Handy flog im aus der Hand und unter den Sitz. Er driftete mit dem Wagen auf die andere Straßenseite. Das Auto schwankte. Und er konnte es gerade noch unter Kontrolle bekommen. Wütend drehte er sich um und sah einen Charlie, wie er ihn vorher nie gesehen hatte.
„Du tust es immer noch“, flüsterte Charlie, dessen Augen nun weit aufgerissen und blutunterlaufen waren.
Peter spürte Blut von seiner Nase über seine Lippen laufen. Sie schien gebrochen zu sein. „Was zum Teufel?“, murmelte er.
„Du tust es immer noch, du tust es immer noch, du tust es immer noch, DU TUST ES IMMER NOCH.“ Charlie fing an zu schreien und Speichel schoss aus seinen Mundwinkeln.
Der Verstand von Peter reagierte schnell. Dieses Ding neben ihm, wenn es jemals Charlie war so war er es jetzt nicht mehr, war gefährlich. Er selbst war angeschnallt, Charlie nicht. Er würde eine Notbremsung vollziehen und seinen Beifahrer damit ausknocken. Er drückte die Bremse mit voller Kraft… und nichts geschah.
Das Ding hatte ihn völlig unter Kontrolle. Resigniert lies er das Lenkrad los. Absurderweise bemerkte er erst jetzt, da er sich seiner absoluten Hilflosigkeit bewusst geworden war, dass in den letzten Minuten (oder waren es Sekunden?) sich der Himmel verfärbt hatte und Dunkelheit die Fahrbahn wie ein starker undurchdringlicher Nebel eingeschlossen hatte. Er wollte etwas sagen, wollte um Gnade flehen, doch er konnte seinen Mund keinen Millimeter bewegen.
Charlie, oder was immer es war, was diese Reise neben ihn angetreten hatte sprach weiter.
„Du erinnerst dich an nichts. Du hast alles VERGESSEN. Du hast alles verdrängt! Und du TUST ES IMMER NOCH.“
„Ich werde dir eine Geschichte erzählen. Es geht um diese Nacht an der du dir selbst diese Narbe zugefügt hast, die du ja so unbedingt vergessen musstest.  Weißt du es war dunkel… so ähnlich wie jetzt. Du hattest ein paar Bier mit deinen Freunden gezischt. Doch weil du ja ein ach so guter Autofahrer bist musstest du dich für die Nachhause Fahrt noch ans Steuer setzen. Ist ja nichts dabei nach 40 Stunden ohne Schlaf und drei Bier. Nur ein kleiner Kaffee während der Autofahrt und alles wäre gut oder? ODER? Ja natürlich. Und vielleicht wäre es ja auch wirklich gut, wenn du dir nicht auch noch einbilden würdest telefonieren zu müssen. Mit dem Handy zwischen deiner Schulter und deinen dummen Schädel und deinen verdammten Kaffeebecher in der rechten Hand. Aber selbst dann, selbst dann mein Freund“ und Charlie spuckte bei diesem Wort, „selbst dann wäre vielleicht noch alles okay. Ja es ist eine verlassene Straße mitten in der Nacht. Keine Person, kein Fahrzeug weit und breit. Du kannst ja sowieso nur dich selbst verletzten.“, und der Blick des Wesens schnellte zur Narbe in Wolfs Gesicht.
Peter sah Charlie an. Aber dessen mittlerweile grässliches Angesicht, dem die Augen aus den Höhlen quellten und tiefe Schatten Furchen in seinem Gesicht bildeten, verschwamm vor seinen Augen und plötzlich konnte er sich an alles erinnern. Was er vor dem Unfall gemacht hatte. Als er mit Freuden unterwegs war. Als sie in einer Bar Charles Singer und seine Freunde kennen lernten. Als er Charlie mitnahm. An den Schlafenzug und den Alkohol und die Freude an den Anruf und an den Unfall selbst. An das Aufwachen im Krankenhaus. An die Bemühungen seines Bruders Luis, an das Geld das unter dem Tisch überreicht wurde und an die Gerichtsverhandlung mit dem, für die meisten, überraschenden Urteil. Und an die Beerdigung, die er mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuze besuchte, um nicht erkannt zu werden.
„Jaa ... du kannst nur dich selbst verletzten. Außer du hast jemanden dabei. Außer du hast mich dabei. Außer du hast verdammt noch mal Charles Singer dabei!“
„VERGISS DAS NIE WIEDER!“
Der nagelneue 7er BMW kam von der Fahrbahn ab, durchstieß die Leitplanke und prallte gegen eine massive Eiche.

20:00 am selben Abend, Newsflash.
Heute am späten Nachmittag hat sich kurz vor Wien ein äußerst mysteriöser Unfall ereignet. Eine männliche Person war alleine von Berlin nach Wien unterwegs, kam von der Straße ab und prallte gegen einen Baum. Davor schien das Auto offenbar ohne gelenkt zu werden zwischen den Fahrstreifen hin und her zu pendeln. Obwohl die Bremsen nach ersten Untersuchungen völlig in Takt waren, hat der Fahrer scheinbar keinen Versuch unternommen sein Schicksaal abzuwenden. Dieselbe Person hatte vor einigen Jahren an fast derselben Stelle einen Unfall. Damals kam ein junger Beifahrer ums Leben. Die Polizei schließt einen Selbstmordversuch nicht aus.

Fünf Wochen später erwachte Peter Wolf im Krankenhaus. Er erinnerte sich an alles. Und er vergaß nie wieder.

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